Die Sonnenfinsternis vom 8. 7. 1842 in Wien

„Seltsam war es, dass dieses unheimliche, klumpenhafte, tief schwarze, vorrückende Ding, das langsam die Sonne wegfraß, unser Mond sein sollte...“
Dieses Werk gehört zu den prägnantesten und schönsten Prosatexten im Werk Stifters; er ist in sich geschlossen und schwingt trotz wissenschaftlicher Beschreibungen zu hoher dichterischer und poetischer Aussage aus.
Wie stark dieser Text ist, erlebt man, wenn man die Zeitgenossen Friedrich Witthauer und Karl Ludwig von Littrow in ihren Betrachtungen über die Sonnenfinsternis analysiert. Adalbert Stifter beobachtete die Sonnenfinsternis vom 8. Juli 1842 in Wien.

Es handelt sich am 8. Juli 1842 um 5h 51’ 9“ morgens um eine totale Sonnenfinsternis (die Stelle auf der Erde lag im Kernschatten im Strahlenverlauf „Sonne – Mond – Erde“.
Stifter stellt sich im Erleben dieses kosmischen Ereignisses gegen Descartes mit dessen „cogito-ergo sum“ (ich denke – also bin ich).
Stifter sagt: „Ich bin“ – „nicht darum bin ich, weil diese Körper sind und diese Erscheinung, nein sondern darum, weil es euch in diesem Momente nur das Herz schaudernd sagt und weil dieses Herz sich trotz der Schauer als groß empfindet".

Stifter reiht sich hier unter die Weltschmerzdichter wie Lord Byron, den er in diesem Werk zitiert, Heinrich Heine u. a. (vgl. Johann Lachinger in „Schrecklich schöne Welt“, S. 17 – 31) Stifter steigt mit seinem Fernrohr auf den Kornhäuslturm in der Seitenstettengasse Nr. 2 in Wien; er war ein Kenner und Liebhaber des Sternenhimmels.

„Endlich, zur vorausgesagten Minute – gleichsam wie von einem unsichtbaren Engel empfing sie (die Sonne) den sanften Todeskuß – ein feiner Streifen ihres Lichtes wich vor dem Hauche dieses Kusses zurück, der andere Rand wollte in dem Glase des Sternenrohres zart und golden fort – „es kommt“, riefen nun auch die Zuseher.

Die Finsternis nimmt zu, Stifter spricht von der Magie des Schönen, der Finsterniswind kommt auf. „... ein kühles Lüftchen hob sich ..., die Temperatur fällt. Die Sonne ... stand mir mehr als glühende Sichel da, jeden Augenblick zum Erlöschen ...“
Nun müssten die „Fliegenden Schatten“ eingesetzt haben, wie sie 1961 in Dalmatien so stark in Erscheinung traten.
Es beginnt vor der totalen Dunkelheit plötzlich zu flimmern und dunkle Schattenbänder von mehreren Zentimetern Durchmesser schlängeln sich mit rasender Geschwindigkeit dahin. (Prof. Hans Eisner)
Stifter sah keine „Fliegenden Schatten“. „... die Spannung stieg aufs höchste“. „... wie der letzte Funke eines erlöschenden Dochtes schmolz eben auch der letzte Sonnenfunken weg.“
Nun kommt das Diamantringphänomen.

Nach Hans Eisner löst sich die haarfeine Sonnensichel durch die Berge am Mondrand in einzelne Teile auf, die dann verschwinden, das „Perlschnurphänomen“: ... die Schwalben wurden unruhig, der schöne sanfte Glanz des Himmels erlosch, als liefe er von einem Hauche matt an ...“ Stifter spricht von einem bleischweren Licht und einer seltsamen Ruhe, einem „unheimlichen Entfremden“ der Natur. „Farben, die nie ein Auge gesehen, schweiften durch den Himmel.“ Stifter spricht von einem fürchterlichen Rot und einen tiefen, kalten, schweren Blau, – und dann beschreibt er die Korona (im Jahr 1842 war es eine Maximumkorona mit plattem Rand, 1961 war eine Minimumkorona mit Strahlenkreuz) „... ein wundervoller schöner Kreis von Schimmer, bläulich, rötlich, in Strahlen auseinanderbrechend ...“ (die Gestalt der Korona ist von der Sonnenaktivität und der Fleckentätigkeit abhängig).

Das „Flash-Phänomen“, das nur Sekunden dauert, die „umkehrende Schicht“ (die unterste Schicht der Chromosphäre erscheint als rötlicher Saum).
Das „rötlich“ bei Stifter bezieht sich aber nicht auf den „Flash“, sondern auf Protuberanzen der Sonne. Die Sonnenfinsternis 1842 dauerte 1 Minute 57 Sekunden.
„Die Luft wurde kalt, empflindlich kalt, es fiel Tau ...“ Jetzt fällt ihm Lord Byrons Gedicht „Die Finsternis“ ein, eine unheimliche apokalyptische Darstellung von Menschen ohne das Licht
der Sonne, die in ihrer Not ihre Häuser anzünden und in das Chaos der Chimären und Schatten geraten.

Zitat:
“A lump of death...;
the waves were dead,
the tides were in their grave,
the moon, their mistress,
had expired before;
the winds were wither´d
in the stagnant air,
and the clouds perish´d;
Darkness had no need
Of aid from them -
She was the Universe“

Das kosmische Erschrecken wurde vor Lord Byron von Jean Paul „Die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab“ in seinem Roman „Der Siebenkäs“ schon kongenial dargestellt.
Im selben Jahr schreibt Stifter sein Werk „Der Gang durch die Katakomben“, das ihn ebenfalls in die Nähe der Weltschmerzdichtung der damaligen Zeit stellt, wo von diesem Erschrecken, der Existenz und Sterblichkeit des Menschen die Rede ist.
Stifter zitiert auch den Tod Christi, bei dem sich die Sonne verfinstert. Er erlebt das Schauspiel in Synästhesien, er hört zu den Farben Musik, ein Requiem, einen Dies irae... „Da ..., ein einziger Lichttropfen quoll am oberen Rande wie ein weißschmelzendes Metall hervor...“ (Diamantringphase) „... siegreich kam
Strahl an Strahl“ (Perlschnurphänomen) „... und die Sperlinge auf den Dächern begannen ein Freudengeschrei, so grell und närrisch...“
Alles atmet nach dem unheimlichen, beispiellosen Schauspiel auf.
Adalbert Stifter schließt seine wunderbaren Erörterungen mit den Worten „Wenigstens könnte ich keine Symphonie, Oratorium oder dergleichen nennen, das eine Musik war wie jene, die während der zwei Minuten mit Licht und Farbe an dem Himmel war...“
Interessant ist, daß der Dichter mit seiner phänomenalen Beobachtungsgabe schon damals, am 7. Juli 1842 viele Stadien einer Sonnenfinsternis genau analysieren und beschreiben konnte, eine Tatsache, die ihn nicht nur als Dichter, sondern auch als hervorragenden Wissenschaftler auszeichnete.
Nach abgebrochenem Rechtsstudium studierte Stifter bei Lüttow Mathematik und Astronomie, bei Andreas Baumgartner Physik. Ihm selbst wurde eine Professur in Prag angeboten.
Die Auseinandersetzung mit der „Sonnenfinsternis“ Stifters geht bis in die heutige Zeit, wenn Helga Blackwenn Stifters apokalyptische Beschwörungen und andere mit Christoph Ransmayers „Die letzte Welt“ vergleicht.
Dieser Aufsatz ist in „Schrecklich schöne Welt“ enthalten.
Stifter erweist sich in seiner „Sonnenfinsternis“ aber als ganz großer Künstler; für ihn ist sie ein Requiem, ein Dies irae, der unser Herz spaltet, daß es Gott sieht.

Autorin: Brigitte Lachinger


Artikel aus EuroJournal,
Mühlviertel – Böhmerwald (Heft 2/1999)
www.eurojournal.at
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EuroJournal,  Mühlviertel – Böhmerwald Heft 2/1999
Gedenktafel in 1010 Wien, Seitenstettengasse 2. Foto: © Ewald Judt

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Eine weitere Tafel wurde am ehemaligen Wohnhaus Stifters in der Seitenstettengasse angebracht. Foto: © Ewald Judt

EuroJournal,  Mühlviertel – Böhmerwald Heft 2/1999Artikel aus EuroJournal, Mühlviertel – Böhmerwald (Heft 2/1999) www.eurojournal.at

Adalbert Stifter (1900) - Entwurf für das Linzer Stifterdenkmal
Adalbert Stifter (1900), preisgekrönter Entwurf für Linzer Stifterdenkmal von Othmar Schimkovitz (1864–1947). Foto: Ernst Grilnberger