Begrüßungsrede von Dr. Josef Pühringer
zur Stifterjahr-Eröffnung am 28. Jänner 2005:
Sehr geehrte Damen und Herren!
Wenn wir heute am Abend des 28. Jänner, dem Todestag Adalbert Stifters, mit einem Festakt in das StifterJahr 2005 gehen, so scheint das breite öffentliche Interesse, die Vielzahl privater Initiativen und das überwältigende idealistische Engagement im Lande, aber auch über die Grenzen Oberösterreichs hinaus – speziell auch in Bayern und Tschechien – selbstverständlich zu sein. Doch die Begegnung mit dem Werk Adalbert Stifters ist – und auch das wurde in den vielen Gesprächen und in der Planungsarbeit klar – seit jeher von unterschiedlichen, zum Teil heftigen gefühlsbetonten Reaktionen begleitet.
Auf der einen Seite gab und gibt es von Zeitgenossen Stifters bis herauf zu Autorenkollegen der Gegenwart eine neben Wertschätzung auch eine intensive, aber ambivalente Auseinandersetzung mit Stifter und bekannterweise alle Spielarten von Ablehnung, Verniedlichung und Spott, Reaktionen, die bis heute den Blick auf die Bedeutung des Werkes und die Person Stifters, – mit den vielen Facetten seines Wirkens in Oberösterreich – verstellen. Denn Stifter, dessen Name wie kaum ein zweiter in der Weltliteratur und der internationalen Rezeption verbunden ist mit den Begriffen Naturbeschreibung und -schwärmerei, wird auf der einen Seite beinahe bedingungslos verehrt, ja zuweilen regelrecht glorifiziert und nicht zuletzt auch vereinnahmt – auf der anderen Seite wird der Autor mit der von ihm entworfenen, oft nur vermeintlichen Idylle als langweilig, konservativ und unzeitgemäß aus der "Leseliste des 21. Jahrhunderts" ausgesondert.
Doch die Qualität künstlerischen Schaffens kann sich auch und gerade in der Kontroverse erweisen und beweisen. Wenn wir den 200. Geburtstag eines Autors zum Anlass für eine umfassende Beschäftigung mit seinem Leben und seiner Arbeit nehmen, so ist dies an sich bereits ein Zeichen hoher Wertschätzung.
Wenn die offizielle Anregung und Einladung des Landes Oberösterreich auf eine beinahe unerwartet hohe Bereitschaft zur Beteiligung stößt und schließlich in einem wiederum nahezu unbewältigbar dichten Programm mit rund 150 Einzelveranstaltungen mündet, so bedarf es keiner weiteren Ausführungen und Rechtfertigungen der Bedeutung eines Autors auch und gerade in unserer Zeit.
Egal, ob wir Stifter als "monumentalisierten Heimatdichter" oder als Klassiker der Weltliteratur sehen, unabhängig davon, wie wir uns zur Idee der Entschleunigung, zur detaillierten Beobachtung und gnadenlos präzisen Beschreibung der Natur stellen - das ist bei weitem nicht alles, was Stifter konnte bzw. in welcher Weise er bis in die Gegenwart gerade im Böhmerwaldgebiet dies - und jenseits der Grenze und insbesondere in ganz Oberösterreich Spuren hinterlassen und die Region geprägt hat.
Adalbert Stifter, der als Sohn einer Leinenweber- und Händlerfamilie am 28. Oktober 1805 in Horní Planá (Oberplan) in Tschechien geboren wurde und nach dem Besuch des Stiftsgymnasiums Kremsmünster von 1818 – 1826 (– von Stifter übrigens als eine glücklichsten Jahre bezeichnet –) seine Ausbildung in Wien fortgesetzt hat, war im Sinne einer klassisch-humanistischen Bildung reich an naturwissenschaftlichen Interessen und vielfältigen Talenten in ganz besonderer Weise "Universalist". Die vielen Begabungen machen ihn neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit zum Maler, der zeitlebens in seinem Arbeitszimmer auch die Staffelei stehen hat. Er wird zum auch beamteten Pädagogen, der als kinderloser Kindernarr Kindern nicht nur in der Literatur "Denkmäler in Form von literarischen Miniaturen" setzt, sondern sich als Landesschulinspektor aktiv und vom Schicksal speziell der ländlichen Schuljugend berührt auch für eine Verbesserung der realen Lebenssituation und für entscheidende Reformen im Bildungswesen einsetzt. Er ist begeisterter Kunstliebhaber, Denkmalschützer und Sammler, ein Landeskonservator, der sich nicht nur um die Denkmalpflege und den Erhalt des kulturellen Erbes verdient macht, sondern im Wissen um die identitätsstiftende Wirkung der eigenen Geschichte schließlich auch mit zur Gründung des oberösterreichischen Kunstvereines und damit letztlich zur heutigen Landesgalerie beiträgt (1855 werden mit dem Ankauf des ersten Bildes auch künstlerisches Selbstverständnis und Überlegungen für den Aufbau einer Landesbildersammlung reflektiert und formuliert, die bis heute Bestand haben). Und er ist Naturphilosoph, dessen wache und sensible Gabe der Erinnerung, Beobachtung und Darstellung von Landschaft und Naturphänomenen und dessen Suche nach dem letztlich Unergründbaren sein gesamtes Lebenswerk zu einem schier unerschöpflichen Kosmos, zu einer Schule der Wahrnehmung für sich, macht. Alle hier nur kurz skizzierten Aspekte werden im Rahmen verschiedenster Veranstaltungen und Projekte angesprochen und aufbereitet.
Es geht uns im Stifterjahr 2005 also nicht nur um den Autor Adalbert Stifter, wenn auch das literarische Werk sicherlich das zentrale Erbe darstellt und Stifter als Wegbereiter der Moderne, vor allem über Landes- und Sprachgrenzen hinaus bekannt geworden ist. Es geht in der Konfrontation mit Stifter um eine Haltung zur Welt an sich, einer Welt, die sich verstärkt als eine Informations- und Wissensgesellschaft versteht, und in der die Eroberung der Welt der Bücher Möglichkeiten nicht nur der reinen Fortbildung, sondern letztlich auch solche einer Lebensbegleitung bieten kann.
Und auch wenn in diesem Jahr der Autor Adalbert Stifter im Zentrum dieser Annäherungen steht, so soll doch das Allgemeine im Besonderen gesehen werden:
Literatur als ein Angebot, ein Angebot an Lebensmodellen, Sinnstiftung und Deutungsmöglichkeiten in umfassender Art und Weise. Nicht nur Lesen-Können, als Basis aller unserer Kulturtechniken, sondern Lesen als Selbstverständlichkeit im geistig-kulturellen Alltagsleben, aber auch als Chance und als Vermögen, sich in andere hinein zu versetzen. Literatur im Sinne von komplexen Lebens- und Denkwelten, – oder wie Adalbert Stifter es selbst einmal ausgedrückt hat: "Wir müssen die Welt erst buchstabieren lernen".
Aus diesem Grund muss die Vermittlung und Interpretation von Literatur ein wesentliches Anliegen einer qualitativen Kulturpolitik sein, und nicht zuletzt aus diesem Grund wurde Adalbert Stifter zum Namensgeber der entsprechenden Einrichtung des Landes Oberösterreich, dem Adalbert Stifter Institut, das seit nunmehr bald 55 Jahren Literatur und Wissenschaft in seinen Aufgabengebieten vereint.
Und so bekennt das Land Oberösterreich sich zur Literatur und trete ich als Kulturreferent ein, für eine umfassende Unterstützung der zeitgenössischen Autorinnen und Autoren ebenso wie einer nachhaltigen Aufarbeitung der literarischen Tradition unseres Landes.
Und so darf ich auch im Namen der zahlreichen Partner, die in Kooperation mit dem Land Oberösterreich am Programm des Stifterjahres 2005 mitwirken, sagen: Es geht nicht um ein punktuelles kulturelles Großereignis, um ein Jubiläum, das ein für allemal abgefeiert wird – es geht um Kontinuität in der Suche nach Wegen der Annäherung an einen Dichter und sein Werk. Es geht um die Förderung der Bereitschaft sich Literatur anzuvertrauen, sich einem Text und seiner mehrstimmigen – und immer wieder gültigen – Botschaft zu öffnen.
Um diese Suche nach Wegen zu begleiten, folgt das umfangreiche Programm des Stifterjahres einer Dramaturgie, einer Gliederung in einzelne Schwerpunktphasen, die ich nur kurz ansprechen möchte: "Reden", "Sehen", "Lesen" und "Hören" sind Begriffe, unter die sich die zahlreichen Veranstaltungen zu thematischen Gruppen ordnen und so als Wegweiser und Leitfaden durch das Jahr führen.
Namhafte Autorinnen und Autoren setzen sich mit dem Werk Stifters auseinander, beginnend mit dem heutigen Abend und dem Festvortrag von Jiří Gruša; Ausstellungen lenken den Blick auf Aspekte aus Leben und Werk, Alltagsgewohnheiten und dem Weltbild des 19. Jahrhunderts; Lesungen (wie unter anderem eine Trilaterale Lesereise), musikalische Uraufführungen und ein breites kulturtouristisches Angebot mit Wanderwegen und Stifterwirten ergänzen dies alles zu einer Stifter-Entdeckungsreise mit allen Sinnen.
Und vielleicht, meine sehr geehrter Damen und Herren, gelingt es uns gemeinsam, mit diesem Stifterjahr einem Teil einer Stifterschen Utopie näher zu kommen: Seiner im "Witiko" angelegten Idee einer übergreifenden europäischen Staatengemeinschaft als Gegenmodell zur politischen Realität des 19. Jahrhunderts, die in einem von national staatlichen Ideologen geprägten Umfeld lange so nicht wahrgenommen wurde, was die Aufnahme von Stifters Werk über lange Zeit erschwert hat.
Im nunmehrigen Bemühen und in der Zuwendung – und ich sage bewusst auch Zuneigung – zur Literatur, insbesondere zum Werk Stifters, finden Menschen über Zeit-, Sprach- und ganz reale Grenzen zueinander. Manche Grenze gelingt es so aufzuheben, andere müssen immer wieder von neuem überwunden werden. Und dabei helfen Utopien und Utopisten, Denker, die ihrer Zeit etwas voraus haben.
Und so kann Adalbert Stifter, der sich in seiner Zeit infolge der Entwicklung von Naturwissenschaften und Technik fundamentalen Veränderungen des Weltbildes ausgesetzt sah und der sich mühte, die Kräfte von innerer und äußerer Natur durch den Entwurf von Ordnungssystemen und radikalen ästhetischen Ansprüchen zu bannen, der so zwischen Zerrissenheit und Harmoniebedürfnis zu vermitteln suchte, auch uns Denkstrategien und Anregungen anbieten: Vor allem, – und es ist mir besonders wichtig, das an dieser Stelle ausdrücklich zu betonen –, finden wir im pluralistischen kulturellen Dialog über Stifter über Landesgrenzen hinweg zu gemeinsamen Wurzeln und zueinander.
Mein Dank gilt heute im Besonderen unseren Partnern, Freunden und Gästen aus Tschechien und Bayern, deren Bereitschaft zur Zusammenarbeit und deren Anwesenheit heute Abend Stifters biographischer und literaturgeschichtlicher Dimension gerecht wird. Neben all den Mitdenkern und -arbeitern in Oberösterreich möchte ich namentlich noch nennen den Konzeptor und inhaltlichen Koordinator Mag. Martin Sturm, die Kollegen der Landeskulturdirektion, des StifterHauses, alle beteiligte Gemeinden, Institutionen, Vereine, Privatinitiativen und Helfer. Nicht vergessen möchte ich "Stifters Vertreter auf Erden", Hofrat Dr. Johann Lachinger, der Stifter beinahe zu kennen scheint wie sich selbst. Diejenigen, die aus zeitlichen Gründen im einzelnen nicht angesprochen werden können darf ich ersuchen, sich eingeschlossen zu fühlen.
Ihnen und uns allen, sehr geehrte Damen und Herren, wünsche ich nicht nur einen anregenden Abend, sondern ein Stifterjahr, begleitet von "Sanften Sensationen", und das scheint mit Adalbert Stifter, der nur oberflächlich ein Unruhestifter war, garantiert.
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